1) | Mit dem Dies irae wird der Weltuntergang beschrieben. Zeugen sind David (wahrscheinlich dessen Vision vom zürnenden Gott aus 2. Sam. 22, 5-16) und Sibylla (die Orakelsprüche "Oracula Sibyllina" aus dem 2.-4. Jahrhundert n. Chr. widmen sich besonders dem Jenseits). Über tobenden Orchestersechzehnteln steht bei Mozart hier ein homophoner Chorsatz. Er zeichnet besonders augenfällig das Zittern der Menschheit ("quantus tremor est futurus") durch eine bebende Sekundbewegung nach. |
2) | Im Tuba mirum leitet die Gerichtsposaune (vgl. 1. Kor. 15, 52 und Matth. 24, 31 und 4. Esra 6, 23) die allgemeine Totenauferstehung ein, die dem Jüngsten Gericht vorausgeht. Tod und Leben werden erstarren ("Mors stupebit") und müssen sich vor dem Richter verantworten, der nichts vergessen haben wird. Mit dem Textteil "quid sum miser tunc dicturus" wechselt die Perspektive zu einem Ich-Erzähler. Eine Identifikation der Trauernden mit dem Los der Toten findet statt, das einst ja ihr eigenes sein wird. Bang steht die Frage im Raum, wer für mich Fürsprecher sein wird, was mir geschehen wird, wenn noch nicht einmal der Gerechte sicher sein kann ("cum vix justus sit securus"). Mozart teilt die Verse dieses Textabschnitts zwischen den vier Solisten auf. Erst am Ende vereinen sie sich zum Quartett. |
3) | Der Text des Rex tremendae offenbart, dass der erschreckende Richter selbst der erhoffte Fürsprecher ist. Dem Urteil nach Werken wird hier das Gnadenurteil entgegengestellt. Aber nur die zur Rettung Bestimmten werden errettet (gemäß der Prädestinationslehre des Augustinus 354 - 430). Die erzittern-lassende Majestät wird bei Mozart in fast durchlaufend punktiertem Rhythmus des Orchester- und Chorparts hörbar.
Erst drei Takte vor Schluss finden sich Chor und Orchester zu dem in glatten Achteln rhythmisierten, flehentlichen "salva me, fons pietatis".
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4) | Die Anrufung an den gnädigen Jesu im Recordare erfüllt zwei Bedingungen des christlichen Bußsakraments: das Sündenbekenntnis ("Ingemisco tamquam reus") und die Reue ("Culpa rubet vultus meus"). Der Bittsteller ruft in Erinnerung, dass sogar Maria (der Prostituierten) und dem Schächer am Kreuz vergeben wurden. Das schenkt der Christenheit Hoffnung, hebt aber die Trennung von Gut und Böse nicht auf - wie das Bild von den Schafen und Böcken belegt
("Inter oves locum praesta, et ab hoedis me sequestra"). Innig und flehentlich ist Mozarts Vertonung dieses Textes. Das Wort "Recordare" bekommt durch seine ungeheure zeitliche Ausdehnung große Intensität.
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5) | Auch im Confutatis stehen den Verdammten ("maledictis"), die den Flammen anheimfallen werden, die Gesegneten ("benedictis") gegenüber. Jenen anzugehören bedarf der unterwürfigen, reuigen Bitte. Mozart lässt den ersten Textteil von den Chorbässen und -tenören über einem heftigen Unisono der Orchester-Bassgruppe singen. Chorsopran und -alt hingegen tragen wie aus einer anderen Welt die Bitte "voca me" vor.
Ein weiteres Mal ändert sich der Charakter der Musik zu dem homophonen "oro supplex et acclinis". In tiefer und enger Lage komponiert, ist der Chor hier primär Träger der Harmonik, die sich an dieser Stelle am weitesten vom a-moll des Satzbeginns wegbewegt. Zerknirscht und angsterfüllt mag dieser letzte Teil klingen.
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6) |
Lacrymosa: Der tränenreiche Tag ("Lacrymosa dies illa") ist in Mozarts Requiem ganz in Seufzermotive gefasst. Seine Handschrift bricht nach acht Takten ab, der Rest wurde wahrscheinlich von Franz Xaver Süßmayr ergänzt. Die Erzählperson hat hier am Schluss der Sequenz wieder gewechselt. Sie endet mit den Worten des Introitus "dona eis requiem. Amen." (schenke ihnen Ruhe. Amen.). |